Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Japanologisches Seminar

 

 

Proseminar Geistesgeschichte Japans

Dr. Christian Steineck

Wintersemester 2002 / 2003

 

 

 

 

Proseminararbeit

Rangaku, Wissenschaft und Technik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jonas von Malottki

E-Mail: yoshtec_N0@SP4M_gmx.net

 

PDF: http://www.yoshtec.com/japanologie/rangaku_jvm.pdf



Inhaltsverzeichnis

 

1.    Einleitung........................................................................................... 3

2.    Die Abgeschlossenheit des Landes..................................................... 3

3.    Rangaku-sha...................................................................................... 4

3.1.  Die ersten Auseinandersetzungen mit westlicher Literatur............... 4

3.2.  Die Medizin als Motor der Rangaku............................................. 6

3.3.  Die Auseinandersetzung mit dem Neo-Konfuzianismus................ 10

3.4.  Honda Toshiaki......................................................................... 11

4.    Schlussbemerkung........................................................................... 13

5.    Literaturverzeichnis........................................................................... 14

6.    Personenverzeichnis......................................................................... 15




1.
Einleitung

In dieser Hausarbeit möchte ich auf die Rangaku Gelehrten in der Tokugawa (1600 –1868) Zeit eingehen, in der sich Japan komplett von allen westlichen Nationen isoliert hatte. So waren die Holländer die einzigen, die in dieser Zeit noch mit Japan Handel treiben durften. Durch dieses kleine Guckloch der Holländer bildete sich nun das Wissen der Japaner über den Westen. Doch  auch die wissenschaftlichen Errungenschaften des Westens wurden durch die holländische Faktorei nach Japan importiert und es bildete sich eine kleine Gruppe von Holland-Gelehrten, die rangaku-sha, die ihr Können der Interpretation Europäischer Literatur widmeten.

 





2. Die Abgeschlossenheit des Landes

Um zu verstehen, unter welchem Paradigma die Personen damals ihr Wissen anhäuften ist es wichtig auf Trennung nahezu jeglicher Außenbeziehungen einzugehen. Nachdem Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616) im Jahre 1600 durch die Schlacht bei Sekigahara an die Macht kam und 1603 Shogun wurde(Schwebell 1981: 26) und damit die Tokugawa Ära einleitete, folgte in 1614 ein Edikt, das den katholischen Glauben verbot (Schwebell 1981: 26). Durch die Aufgabe des Stützpunktes der Engländer 1623 sowie ein Jahr später das Verbot für spanische Schiffe, Japan anzulaufen, und schließlich die Verbannung aller Portugiesen 1639, auf deren Missachtung die Todesstrafe stand, durfte nun kein westlicher Staat mit Ausnahme von Holland mehr Japan mit Schiffen ansteuern (Kajima 1976: 114; Schwebell 1981: 26-27). Doch auch Japaner durften das Land weder verlassen oder aus der Ferne zurückkehren noch durften sie dazu geeignete Fahrzeuge bauen, eine Missachtung wurde auch hier mit Todesstrafe geahndet, das Gleiche galt für Fremde, die Japan anliefen (Schwebell 1981: 27). All diese Maßnahmen dienten größtenteils dazu, die Christen von Japan fernzuhalten. So stand auf einem Schild geschrieben, das der Shogun nach der Ermordung von 57 Portugiesen, die trotz des Verbots 1640 nach Japan gekommen waren, aufstellen ließ:

        
Solange die Sonne die Erde wärmt, soll kein Christ so kühn sein und nach Japan kommen, und es soll jedermann wissen, daß, falls der König Philipp [von Spanien] selbst oder sogar der Gott der Christen oder der große Shaka selbst dies Gesetz übertreten, so sollen sie es mit ihrem Kopf bezahlen. (Schwebell 1981: 29)

Die Holländer wurden nicht verdächtigt, das Christentum zu verbreiten, denn sie hatten dem Shogunat bei der Schlacht von Sekigahara nicht nur mit Kanonen und anderer Ausrüstung sondern wahrscheinlich auch mit Kanonieren beigestanden (Blussé et al. 2000: 16). Und auch bei der Niederschlagung des letzten Christenaufstandes bei der Schlacht von Shimabara (1637 - 1638) halfen sie mit Artillerie und Schiffen aus (Keene 1952: 6). Dennoch wurden die Holländer angewiesen, ihre Handelsniederlassung von Hirado nach Nagasaki auf die Insel Deshima zu verlegen, denn das Misstrauen der Japaner war groß genug, um die Aufschrift „Anno Domini 1639“ des gerade fertig gestellten Lagerhauses als Verbreitung des Christentums anzusehen. Auf Anweisung von Masashige Inoue, dem Generalinspektor des Shoguns in christlichen Angelegenheiten, mussten das Haus und die komplette Faktorei 1640 eingerissen werden (Blussé et al. 2000: 27, 32). Zur Erkennung der Christen wurde ein höchst effektives Mittel eingesetzt. Schon seit 1637 wurde alljährlich in einer Zeremonie öffentlich ein Kupferbildnis von Maria und Jesus oder dem Kreuz vorgelegt, auf das jeder treten musste. Wer auf dieses fumi-e, wörtlich „Stampf-Bild“, nicht treten wollte, war ein Christ und sollte mit dem Tode bestraft werden. Entgegen mancher anderer Gerüchte aus der Zeit mussten die Holländer an dieser Zeremonie nicht teilnehmen (Schwebell 1981: 35) (Bild zu finden in Blussé et al. 2000: 74). Vor allem aber wurde die Einfuhr und Verbreitung von westlichen Büchern und auch deren japanischen oder chinesischen Übersetzungen unterbunden. Bücher, die schon in Japan waren, wurden vom Shogunat entweder verbrannt oder unter Geheimhaltung verwahrt (Keene 1952: 16). Um aber nicht vollständig von Informationen aus dem Westen abgeschnitten zu sein, wurden die Holländer dazu verpflichtet, jedes Jahr (nach 1790 alle 4 Jahre) einen Bericht, die so genannten oranda fūsetsugaki, über die Geschehnisse und Errungenschaften in der westlichen Welt beim Shogun in Edo abzuliefern (Blussé et al. 2000: 58). Dort mussten der Opperhoofd, der Direktor der Holländischen Faktorei, und der Arzt anwesend sein (Kreiner 2000: 4) und später wurde diese Gelegenheit von einigen Rangaku-sha genutzt, um den Kontakt mit den Ärzten zu suchen (Sugita 1969: 20). Erst ab 1720 wurde das Bücherverbot differenziert (vgl. 3.1). Trotzdem genügte als Grund, dass Rishun Gotō in oranda banashi (Story of the things Dutch) die 25 Buchstaben des Alphabetes replizierte, um dieses Buch zu verbieten (Sugita 1969: 13).

Auf Deshima war das Leben der Holländer stark eingeschränkt. Die künstliche Insel selbst maß nur etwa 214 Meter mal 64 Meter und war umgeben von einer Palisade. Die Häuser gehörten zum Teil den japanischen Autoritäten und zum anderen Teil der VOC (Verenigde Oost-Indische Compagnie) (Blussé et al. 2000: 49). Es durften nur Japaner mit einem speziellen Passierholz (tōri fuda) auf die Insel (Blussé et al. 2000: 48), dies waren zum größten Teil Dolmetscher, die auch auf der Insel lebten (ca. vierzig bis fünfzig Personen), Aufpasser, Wächter und Prostituierte, die einzigen Frauen, die Deshima betreten durften. Die Holländer selbst durften die Insel nicht verlassen, mit Ausnahme der Reise nach Edo oder aus anderen wichtigen Gründen (Schwebell 1981: 33). Der schwedische Arzt Carl Peter Thunberg (1743 – 1828), der um 1775 auf Deshima lebte, schrieb darüber: „Ein Europäer, der hier lebt, ist wie tot und begraben“ (zit. nach Schwebell 1981: 47).

 

 





3. Rangaku-sha





3.1 Die ersten Auseinandersetzungen mit westlicher Literatur

Als der erste, der sich mit dem Westen auseinandersetzte, ist Arai Hakuseki (1657 – 1725) zu nennen, der nach dem Verhör des italienischen Jesuiten Giovanni Battista Sidotti (1668 – 1715) die „Aufzeichnungen über die Westliche Welt“ (seiyo kibun) verfasste. Allerdings sprach Hakuseki selbst keine Fremdsprache und bei der Übersetzung half ein Dolmetscher aus Nagasaki, der vor allem bei Engelbert Kämpfer gelernt hatte (Kreiner 2000: 4). Auf Hakusekis Rat wurde auch zwischen christlichem Glauben und westlicher Wissenschaft unterschieden[1]. Er legte unter anderem damit einen Grundstein für die Lockerung des Bücherverbots von 1720. Es ist anzumerken, dass diese Lockerung auch die Folge einer konfuzianischen Verpflichtung des Herrschers gegenüber dem Volk war. So musste der Herrscher dafür sorgen, dass alle Riten zu den richtigen Zeiten stattfanden. Doch der Shogun Tokugawa Yoshimune (1684 – 1751) war gebildet genug, um zu erkennen, dass der aktuelle Kalender viele Ungenauigkeiten aufwies und voll von Fehlern war. So beauftragte er Nakane Genkei (1661 – 1733), der ihm als Kalenderexperte empfohlen worden war, einen neuen zu erstellen. Ein gerade importiertes chinesisches Buch über Kalenderstudien sollte ihm als Grundlage dienen, doch er fand heraus, das dies nur eine Übersetzung und Zusammenfassung einiger westlicher Bücher war und so fragte er beim Shogun nach, ob er die westlichen Originale haben könnte, da es ihm sonst nicht möglich sei, den Kalender fertig zu stellen. Aber er verband seine Bitte mit der Aufforderung, die Importrestriktionen auf wissenschaftliche Bücher zu lockern. So entspannte Yoshimune dann 1720 die Restriktionen und 1741 förderte er mit der Aufforderung an den Arzt Noro Genjō (1693 – 1761) und Aoki Kon’yō (1698 – 1760), einen konfuzianischen Gelehrten, Holländisch zu lernen, zum ersten Mal die rangaku außerhalb von Nagasaki (Keene 1952: 17-19; Sugita 1969: 10). Rückblickend waren die anfänglichen Bemühungen nicht sehr erfolgreich, denn Noro und Aoki konnten nur während der kurzen Zeit, in der die Holländer aus Deshima in Edo verweilten, ihre Kenntnisse erweitern (Keene 1952: 18). Aoki brachte es trotzdem fertig, schon 1743 sein erstes Buch „Explanation of Dutch“ (oranda wayaku) zu schreiben. Es folgen im Jahre 1746 noch „Introduction into Dutch Writing“ (oranda moji ryakkō) und „Dutch-Japanese Vocabulary“ (oranda bun’yaku) (Blussé et al. 2000: 123).

Allgemein wurden zu dieser Zeit die von den Holländern importierten Gegenstände zwar hoch geschätzt, jedoch eher wegen ihres Kuriositäten-Wertes. Von manchen Büchern sollen sogar Abschriften kursiert sein, die jedoch ebenfalls nur unter Verschluss gehalten wurden und keine praktische Benutzung erfuhren.

Nachdem sich die rangaku ein wenig entwickelten und Fortschritte machten, wurde in Edo das Verlangen nach einer staatlichen Übersetzungsbehörde groß, die auch gleichzeitig eine regulierende Wirkung auf die aufstrebenden rangaku-sha haben sollte. Das 1811 eingerichtete bansho shirabesho oder „Bureau for the Inspection of Barbarian Books“ mitsamt der frisch rekrutierten rangaku-sha sollte dieses Verlangen befriedigen. Gleichzeitig gab es aber der Holländischen Schule zum ersten Mal das Gefühl, offiziell anerkannt zu sein. 1840 versuchte das Shogunat durch ein neu erlassenes Edikt wonach alle importieten Bücher dem Magistrat von Nagasaki zu melden waren, seine Kontrolle noch zu erweitern. (Blussé et al. 2000: 91)

 





3.2 Die Medizin als Motor der Rangaku

Betrachtet man die Errungenschaften der rangaku in einer Vielfalt von Bereichen, wie zum Beispiel der Geographie, Kunst, Auseinandersetzung mit der holländischen Sprache an sich, etc., stößt man immer wieder auf die Medizin als Hauptantrieb der rangaku in Verbindung mit den anderen Wissenschaften. Schon früh lernten die Übersetzer in Nagasaki nicht nur Holländische Sprache sondern auch Praktiken der holländischen Ärzte. Die erste Schule, die sich in Nagasaki entwickelte, war die kasuparu-ryō geka, die Caspar’sche Schule der Chirurgie, benannt nach dem Deutschen Arzt Caspar Schamberger (1623 – 1706), der von 1649 bis 1651 auf Deshima seinen Dienst leistete.[2] Allgemein nannten sich später auch einige Schüler der westlichen Heilkunst oranda-ryō geka, das heißt Mediziner nach der Holländischen Schule, nachdem sie von den Dienstärzten der Holländer zu Ärzten ernannt wurden.[3] Regulär war es den Holländern auch untersagt, Japanisch zu lernen, damit sie keine wichtigen Informationen über Japan außer Landes bringen konnten. Die Ausnahme  bildete Engelbert Kämpfer (1651 – 1716) aus Lemgo, dem es erlaubt war, Japanisch zu lernen. Er fertigte viele Aufzeichnungen über seine Erlebnisse an, die er später zu seinem Werk „The History of Japan“ zusammenführte.

Sugita Genpaku (1733 – 1817), Maeno Ryōtaku (1723 – 1803) und Nakagawa Jun'an (1739 – 1786) haben mit ihrer Übersetzung kaitai shinsho der Tafel Anatomia, beziehungsweise der holländischen Version Ontleedkundige Tafelen und der für diesen Zweck gegründeten Arbeitsgruppe, eine Grundlage für die rangaku-sha gebildet. So ist auch an Sugita Genpaku selbst der Wandel zu beobachten. Über seine Beweggründe zur Zeit der Fertigstellung vom kaitai shinsho in seinem Werk rangaku kotohajime schreibt er:

 

In other words, my sole purpose was in translating this particular book and bringing it out as quickly as possible. That was the end of my purpose. I had no other ambitions such as mastering the language and taking up other projects. (Sugita 1969: 43)

 

Später zeigte sich, dass auch Sugita selbst sich als Förderer der allgemeinen rangaku sah:

 

Still I had a deep concern for the promotion of Dutch learning and could not tear myself away from it. […] My original wish for translation was not at all waning and I was buying Dutch books –scores of them and often voluminous ones– regardless of their price and to the limits of my funds. […] I might not have the time to read them myself, but I could lend them to my pupils or some other students. Then they would open the path for Dutch learning as much as I might myself. (Sugita 1969: 63)

 

Vor allem fällt auf, dass die Tafel Anatomia mit ihren detailgetreuen Zeichnungen vom Inneren des menschlichen Körpers zum ersten Mal Zweifel an der traditionellen chinesischen Schule aufkommen ließ. „All I wanted to show somehow to the people that the real structure of the Human Body was different from the one described in the Chinese Books” (Sugita 1969: 43). Scheinbar war es den Ärzten bis zu dieser Zeit auch nicht gelungen aus Beobachtungen an der Natur bzw. am Körper Schlussfolgerungen zu ziehen. Als Sugita und Maeno sich bei der Sektion einer alten Frau trafen, um die Zeichnungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, deutete der eta (ein Angehöriger der untersten sozialen Kaste nach dem konfuzianischen Sozialgefüge der Tokugawa- Zeit) auf das ein oder andere Organ mit der Bemerkung, dieses bei jeder Sektion an dieser Stelle vorgefunden zu haben, doch die Ärzte, die ihm sonst beigewohnten, hätten nie gefragt, worum es sich dabei handele oder gar überlegt, welche Funktion es haben könne (Sugita 1969: 30). Zusätzlich hatten die offiziellen Ärzte des Shoguns, die etwa sieben oder acht Sektionen durchgeführt und damit gesehen hatten, wie der menschliche Körper wirklich aussah, das Falsche gelehrt. Sie hatten sich sogar jedes Mal eigene Aufzeichnungen gemacht. Letztendlich behaupteten sie, dass sich der japanische Körper von dem des Chinesen unterscheiden müsse (Sugita 1969: 31). Nachdem Maeno und Sugita sich von der Überlegenheit des holländischen Anatomie-Buches überzeugt hatten, entschieden sie auf dem Heimweg, eine Übersetzung anzufertigen:

 

We felt ashamed of ourselves for having come this far in our lives without being aware of our own ignorance. How presumptuous on our part have served our lordships and pretended to carry our duties as official doctors when we were totally without the knowledge of the true make of our bodies which should be the foundation of healing! […] I broke the spell saying: “Even this one volume of Ontleedkundige Tafelen – suppose we translate it – many facts about the body will be clarified and the art of healing will be greatly benefited.” (Sugita 1969: 31)

 

Auch wenn Maeno Ryōtaku bei Aoki Kon’yō  Holländisch gelernt hatte (Sugita 1969: 13) und er zusätzlich noch in Nagasaki war, war die Übersetzung nicht einfach. Sugita Gentaku kannte noch nicht einmal das Alphabet, denn er hatte es auf Rat des Hofübersetzers Nishi Zenzaburō aufgegeben, Holländisch zu lernen (Sugita 1969: 15).

So saßen sie oft den ganzen Tag über einem Satz ohne zu wissen, was die Bedeutung sein könnte. Außer eines kleinen Wörterbuchs mit Phrasen, das Maeno in Nagasaki geschrieben hatte, hatten sie keine Hilfsmittel. Wörter, die sie nicht verstanden, markierten sie mit einem kleinen Kreis mit einem Kreuz drin und wenn die Übersetzer nach Edo kamen, fragten sie nach neuen Worten. Während dieser Zeit setzte sich der Name rangaku gegenüber dem alten Begriff bangaku (Schule der Barbaren) in der Gruppe der Gelehrten immer stärker durch. Nachdem sie das Manuskript elf Mal in vier Jahren neu erstellt hatten, waren sie so weit zufrieden, dass sie es veröffentlichen konnten (Sugita 1969: 37). Dennoch bestand noch ein Problem, denn, wie oben bereits erwähnt, wurde oranda banashi verboten, nur weil es das Alphabet beinhaltete. „Publishing the Book on our own assumption, we might be punished for the violation of a public interdiction. We were really worried on this point.” (Sugita 1969: 50). Durch gute Kontakte konnte Sugita dieses Problem lösen. Ein Freund von ihm konnte das Buch inoffiziell dem Shogunat vorlegen und es wurde nicht beanstandet. „We felt relieved at last. Such was the way the first Dutch translation was introduced to our society.” (Sugita 1969: 51)

Auch wenn Sugita in rangaku kotohajime schon eine westliche Position gegenüber der neo-konfuzianischen Staatsphilosophie aufzeigt, fällt doch auf, dass auch er nicht komplett von diesem Denken gelöst war. Als er sich mit Maeno zusammenfand um das Buch zu übersetzen, legten sie zuerst fest, dass Maeno, da er der Ältere war, die leitende Position innehaben sollte. Das Zitat von Seite 31 weiter oben zeigt mit der Aussage „How presumptuous on our part have served our lordships …”, dass sie sich in erster Linie ihrem Herrscher verpflichtet fühlten. Sugita schaffte es dennoch eine Anmerkung zu der durch Chinesische Studien geprägten Gedankenwelt zu machen:

 

In the beginning, I did not think the Dutch learning would flourish and advance as we see today. This was due to my poor intellect and the lack of foresight. Looking back now I see that the Chinese learning took long to develop in this country because perhaps it was primarily a rhetorical language while Dutch developed fast, because it expressed facts as they were and it was easier to learn. Or, perhaps, it was that the Chinese hat trained the Japanese mind and had made a foundation whereupon Dutch was able to make a rapid stride. (Sugita 1969: 51-52)

 

Dies zeigt auch wieder den Unterschied, den Sugita zwischen der Chinesischen Schule und der rangaku sah. Es ist das auf Fakten Basierende und das Empirische, was Sugita  so an der holländischen Schule schätzte, im Gegensatz zu der „rhetorischen“ chinesischen Sprache. Aber er sah es auch als Möglichkeit an, dass die Studien des Chinesischen den Vorläufer für die rangaku gaben. Eine weitere differenziertere Auseinandersetzung mit dem konfuzianischen Gedankengut lässt sich in rangaku kotohajime nicht finden. Erst Ōtsuki Gentaku (1757 –  1827), ein Schüler von Sugita und Maeno, der schon während seiner Ausbildung einen nicht konfuzianischen Ansatz verfolgte, schaffte es, sich weiter damit auseinander zu setzen. Sugita (1969: 52) schreibt dazu: „He would not say or write anything unless he was convinced of himself.“

Der Deutsche Arzt Phillip Franz von Siebold (1796 – 1866) errichtete nach seiner Ankunft 1823 in der Vorstadt Narutaki, wo er auch leben durfte, ein Spital. Dort unterrichtete er eine Gruppe in Medizin. Sie konnten sogar bei ihm eine Art Dissertation schreiben. Die Aufgaben, die er stellte, waren meist mit der japanischen Natur oder Begebenheiten verbunden, so dass er viele Informationen über Japan sammeln konnte. Er wurde 1829 des Landes verwiesen, da bei ihm Karten der japanischen Nordküsten gefunden wurden, kehrte aber 1859 wieder zurück und versorgte das bansho shirabesho mit neuer Literatur.

An dieser Stelle sei noch ein weiterer wichtiger Gelehrter genannt, nämlich Hiraga Gennai (1728 – 1779), der zwar kein Arzt, aber der erste Japaner war, der es schaffte, komplett in westlicher Art zu malen. Er soll ein exzentrischer Mensch gewesen sein, der sein komplettes Hab und Gut - inklusive seines Bettzeuges – verkaufte, um ein Zoologiebuch zu erstehen. Er war ebenfalls der erste, der die Prinzipien der Elektrizität verstand und Asbest herstellte. Sein Schüler Odano Naotake (1750 – 1780) zeichnete für das kaitai shinsho die Illustrationen nach. Leider verhinderte sein früher Tod im Alter von dreißig Jahren, dass er noch weitere Werke vollbringen konnte (Keene 1952: 83).

 





3.3 Die Auseinandersetzung mit dem Neo-Konfuzianismus

Ōtsuki Gentakus Werk rangaku kaitai war zwar das erste Buch, das einen Überblick über die holländische Grammatik gab, aber Keene (1952: 32) zeigt, dass Ōtsukis wahre Intention dabei die Verteidigung der rangaku war. Denn die rangaku-sha zeigten durch ihre neu erworbenen Kenntnisse zum ersten Mal, dass die Chinesische Schule in vielen Fällen falsch war und forderten somit, dass die holländischen Studien diesen vorzuziehen seien. Außerdem konnte rangaku nicht einfach zu der bestehenden Ideologie hinzugefügt werden. Allein die Ansicht, dass Barbaren keine richtige Wissenschaft betreiben könnten und die Ablehnung, sich damit zu befassen, machten es schwer (Keene 1952: 32). So zeigte Ōtsuki allein durch seine neu gewonnenen geographischen Kenntnisse, dass weder China noch Japan das Zentrum der Zivilisation war. Ebenso ging er darauf ein, dass fast alle Länder sich „Mittelland“ genannt hatten. Früher waren auch die Chinesen, in gleicher Weise wie die Europäer zu dieser Zeit, Barbaren genannt worden. Dieser Wandel in den Gedanken der Gelehrten ist sehr signifikant, denn in der Geschichte der japanischen Gedanken spielte China immer eine bedeutende Rolle. So waren die verschieden Richtungen des Buddhismus und Konfuzianismus und letztendlich auch die Schrift aus China gekommen. Diesen Gedankengang fassten auch die Angehörigen der kokugaku auf, die sich auf die Alten Texte und die Urreligion shinto beriefen. Ōtsukis Gedanken gingen aber nicht weit genug, war er zwar der Ansicht, dass die holländischen Studien verfolgt werden sollten aber wenn sie ein mal perfekt beherrscht würden sei kein weiterer Verkehr mit dem Westen nötig (Keene 1952: 99).

Ōtsuki gründete 1789 als erster eine Schule für Holländisch. Die Schule wurde in Edo errichtet und erhielt den Namen shirandō. Von 1789 bis 1826 hatte die Schule ca. fünfzig Studenten. Es folgten im ganzen Land ähnliche Schulen und sie bildeten die Grundlage für die aufstrebende rangaku.

 





3.4 Honda Toshiaki

Honda Toshiaki (1744 – 1821) war im Vergleich zu den anderen rangaku-sha in Japan zu seiner Zeit nicht so bekannt und auch seine Werke kannte, bis auf ein paar seiner engeren Freunde niemand. Er war auch insofern speziell, als dass er zwar mit Astronomie und Mathematik das Studium begann und darin so erfolgreich war, dass er schon mit 23 eine eigene Schule in Edo gründen konnte, er jedoch kurz darauf seine kompletten Anstrengungen auf das Studium der Politik umstellte. Er war viel in Japan gereist und überall wo er gewesen war, traf er auf Armut und Not sowie der daraus entstehenden Kriminalität von Straßenräubern. In Folge dessen machte er sich Gedanken, in welcher Art und Weise man diese bekämpfen könnte (Keene 1952: 75). Seine Schrift „A Secret Plan for Managing the Country“ (kesei hisaku) von 1798 geht darauf ein, wie man das Land verbessern könnte. Gleich zu Anfang schreibt er:

 

When the entire population is fed by the farmers and society is maintained along the class lines of samurai, farmers, artisans, merchants and idlers, there is stability, and the nation is peaceful. But if many of the farmers, who are the foundation of the nation, die of starvation, the stability is upset and calamities of every sort arise. If such trouble is suppressed in one place, it boils up in another; if put down in that place, it is felt in still another. These disorders arise because of poverty. Far- reaching consideration must therefore be given to the matter.
(zit. nach Keene 1952: 161)

 

 

Trotz seiner offensichtlichen konfuzianischen Wurzeln scheint er der Erste zu sein, der sich intensiv um das Wohl der Nation kümmert. Wäre sein geheimer Plan zu der Zeit, als er es schrieb, bekannter gewesen, dann wäre es sicherlich ein Problem für ihn gewesen, denn er stand mit seinen Ansichten zu großen Teilen im Widerspruch zu der vom Shogunat verfolgten Regierungspolitik. Er sieht vier essentielle Bereiche als Grundlage der Vergrößerung und Verbesserung des Landes an: Schwarzpulver, Metalle, Schifffahrt und Kolonisation. Beim Schwarzpulver geht er davon aus, dass es zu Kriegs und Friedenszeiten wichtig sei. In Friedenszeiten sollen damit Flüsse befahrbar gemacht, Küstengebiete von gefährlichen Steinen befreit und in Bergen Passagen freigesprengt werden. Interessant ist, dass er zwar die Idee von den Europäern übernimmt aber dennoch die Beschaffung von Schwarzpulver durch Europäer ablehnt:

 

It is impossible to complete any major construction undertaking without the use of gunpowder. That is why the European nations consider it to be a product of the greatest value and importance to their countries and make many uses of it. […]

Certain expenses are involved in extracting gunpowder from the ground, but the incidental costs of extraction should not be considered, because of the product's importance. The money in any case will pass into the hands of Japanese and not foreigners, and will be like a gift to one's own children, a gift which will be many times repaid. (zit. nach Keene 1952: 161)

 

Dieses Thema mit der Angst vor den Ausländern zeigt sich auch wieder in dem Abschnitt über das zweitwichtigste seiner Güter, die Metalle:

 

The fixed-price System thus has the fortuitous result of protecting the country's strength. If articles imported from abroad were all of permanent value, there would be no profit for the foreign countries in trade with Japan, but the gold, silver and copper used by Japan in payment are actually of great and permanent value, and thus the Bones of the country. (zit. nach Keene 1952: 164)

 

Das dritte Erfordernis, die Schifffahrt, soll helfen, die Lebensmittel im Land zu verteilen. Dabei setzt er nicht auf einen freien Transport der Güter, sondern forderte ausschließlich, dass der Transport unter Souveränität der Regierung ist. Ebenso findet sich die lenkende Kraft der Regierung in dem Abschnitt über Metalle wieder, in dem er einen festen Preis fordert, der vom Staat kontrolliert werden soll. Er spricht auch in diesem Teil noch einmal die von Armut getriebene Kriminalität an, die aufsteigt, wenn die Lebensmittel nicht richtig verteilt werden und führt ein Beispiel aus der Bucht von Tonura an, in der immer wenn ein Sturm tobt, Kriminelle ein Feuer entfachen um Schiffe, die die Orientierung verloren haben in die Bucht zu locken, um dann, sobald sie angekommen waren, die Matrosen zu erschlagen und die Güter zu stehlen. Im letzten Abschnitt über die Kolonisation zeigt sich erneut sein Streben nach Wohlstand für das Land. Die Inseln um Japan herum sollen kolonisiert werden, um mehr Nahrungsmittel und Metall zu produzieren, und selbst wenn es weder das eine noch das andere gibt geht er davon aus, dass zumindest das Holz, was auf der Insel wächst, einen Wert bietet. Auch wenn er Mathematik und Astronomie studierte, waren seine Schlussfolgerungen über den Breitengrad, über das Klima und die Fruchtbarkeit der Inseln Angaben machen zu können ist falsch. Ebenfalls sieht er die Kolonisierung der schon durch einheimische Bewohnten Gebiete zu einfach, er schrieb:

 

If the natives are still living in caves, they are taught about houses. A house should be built for the tribal chief. Those natives without implements or utensils should be supplied with them. By helping the natives and giving them everything they desire, one will inspire a feeling of affection and obedience in them, like the love of children for their parents. […] Even barbarians do not expect to ask favours and give nothing in return. (zit. nach Keene 1952: 164)

 

Es ist ein wenig verwunderlich, dass Honda nicht als wichtigstes Gut die Nahrung nennt, denn alle seine vier Erfordernisse dienen entweder der Beschaffung oder Verteilung von Nahrung oder der Anhäufung von Wohlstand. Weiterhin erwähnt er oft die Wichtigkeit der Bürger. Um die Nation weiter zu bringen, scheint er auch bereit, die Schriftzeichen aus dem Gebrauch zu entfernen:

 

These twenty-five letters suffice for writing anything. In Japan there is a particular character used for every single thing, in imitation of Chinese usage, which means that there is an inconveniently large number of characters. […] If a man were to attempt to memorise the tens of thousands of Chinese characters, he might not succeed in doing so even if he devoted his life's energies to it. This would certainly be a great waste of time. Even supposing there were someone who could memorise them all, I doubt whether it would be of any service to the nation. It must have been because the Europeans realised this fact that they adopted a simpler method. Since the chief function of writing is considered to be the recording of facts and opinions, it would be far more expedient to do so with our Japanese kana instead of attempting to memorise all the thousands of Chinese characters. (zit. nach Keene 1952: 204-205)

 

Zwar setzten sich viele der rangaku mit der Holländischen Sprache auseinander, doch wurde nie an der normalen Schrift gezweifelt. Dieser Ansatz ist auch noch aus heutiger Sicht progressiv.

Durch seine ganzen Schriften zieht sich ein Wille, die Nation zu vergrößern, und immer wieder sollen alle die Größe des Japanischen Herrscher erkennen. Zusätzlich aber sollen die Ausländer so wenig wie möglich von Japan mitbekommen und ihm scheint es auch nicht nötig, mit ihnen Handel zu treiben, da er einen Verlust für Japan sieht. Es ist dadurch nicht verwunderlich, dass Pörtner (1995: 71) schreibt, das er -unter anderen- als ein Ideengeber für die expansionistischen Führer der folgenden Perioden gedient hat.

 





4. Schlussbemerkung

Diese Entwicklung zeigt, dass die rangaku-sha großen Anteil an der Modernisierung Japans gehabt haben, aber sie dennoch nicht selbst in Gang bringen konnten. Dies lag zum großen Teil an der tiefen Verwurzelung der Gelehrten im konfuzianischen Weltbild. Nach der Meji-Restauration konnten viele der Schüler, aus den rangaku-Schulen der daimyō, an der Seite der Holländer, z. B. bei dem Wiederaufbau der Marine oder der Einführung der Elektrizität mithelfen. Auch waren Sie nicht so stark durch den Zusammenbruch des Stände-Systems beeinflusst, da sie sich schon vorher mit europäischer Literatur auseinandergesetzt hatten, und damit bereits mehr von der konfuzianischen Denkweise gelöst waren. Zusätzlich konnten durch ihre Sprachkenntnisse schneller Kontakte zu neuen Handelspartnern schließen.

Es ist dabei schon erstaunlich, dass diese Entwicklung nur durch eine Verbindung nach Europa und einer handvoll Büchern entstehen konnte. Der technische Fortschritt hatte während der Tokugawa-Zeit schon eine große Diskrepanz zwischen Japan und den westlichen Ländern entstehen lassen. Nur die rangaku-sha federten diesen Unterschied mit ihrer Aufbereitung neuer westlicher Literatur ab. Es ist interessant zu spekulieren wie groß der Abstand ohne sie geworden wäre.




5. Literaturverzeichnis

 

BLUSSÉ, Leonard, Willem REMMELINK und Ivo SMITS (Hg.) (2000): Bridging the Divide. Hilversum: Teleac/NOT.

KAJIMA, Morinosuke (1976): Geschichte der Japanischen Aussenbeziehungen. Bd.1 Wiesbaden: Franz Steiner Verlag GmbH.

KEENE, Donald (1952): The Japanese Discovery of Europe. London: Routledge and Kegan Paul Ltd.

KREINER, Josef (2000): Einführung in: UNIVERSITÄT BONN (Hg.) (2000): Rangaku - Westliche Naturwissenschaften im Japan der Edo-Zeit. Bonn: Selbstverlag.

LEWIN, Bruno (1988): Japanische Geistesgeschichte. Wiesbaden: Otto Harrasowitz

MIZUTANI, Takeshi und Setsuko NAKAMURA (1998): Dutch influence on the reception and development of western-style expression in early modern Japan. International Federation of Library Associations and Institutions. http://www.ifla.org/IV/ifla64/036-101e.htm (26.01.2003)   PDF

PÖRTNER, Peter und Jens HEISE (1995): Die Philosophie Japans - Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag.

SCHWEBELL, Gertrude C.(Hg.) (1981): Die Geburt des modernen Japan in Augenzeugenberichten. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

SUGITA, Genpaku (1969): Rangaku Kotohajime - Dawn of Western Science in Japan. Übersetzt und Herausgegeben von Ryōzō Matsumoto. Tōkyō: Hokuseido Press.






6. Personenverzeichnis

 

Name................................... Kanji........................... Daten......................................... Seiten

Aoki Kon’yō........................ 青木昆陽................... (1698 – 1760)............................... 6, 8

Arai Hakuseki ..................... 新井白石................... (1657 – 1725)................................... 5

Hiraga Gennai ...................... 平賀源内................... (1728 – 1779)................................. 10

Honda Toshiaki ................... 本多利明................... (1744 – 1821)........................... 11, 13

Kämpfer, Engelbert.................................................. (1651 – 1716)............................... 5, 7

Maeno Ryōtaku.................... 前野良沢................... (1723 – 1803)........................... 7, 8, 9

Nakagawa Jun'an ................ 中川淳庵................... (1739 – 1786)................................... 7

Nakane Genkei ................... 中根元圭................... (1661 – 1733)................................... 5

Noro Genjō.......................... 野呂元丈................... (1693 – 1761)................................... 6

Odano Naotake .................. 小田野直武............... (1750 – 1780)................................. 10

Ōtsuki Gentaku ................... 大槻玄沢................... (1757 – 1827)....................... 9, 10, 11

Schamberger, Caspar .............................................. (1623 – 1706)................................... 7

Sidotti, Giovanni Battista........................................... (1668 – 1715)................................... 5

Siebold, Phillip Franz von.......................................... (1796 – 1866)................................. 10

Sugita Genpaku.................... 杉田玄白................... (1733 – 1817)........................... 7, 8, 9

Thunberg, Carl Peter ............................................... (1743 – 1828)................................... 5

Tokugawa Ieyasu................. 徳川家康................... (1543 – 1616)................................... 3

Tokugawa Yoshimune.......... 徳川吉宗................... (1684 – 1751)............................... 5, 6



[1] http://www.japanologie.uni-bonn.de/documents/rangaku.htm     PDF

[2] http://www.rc.kyushu-u.ac.jp/~michel/serv/cs/cs-chronology-ger.html     PDF sowie

[3] http://www.amuseum.de/medizin/CibaZeitung/APR35.HTM     PDF